Die Herausforderung

Bei einem Schachturnier vergeht die Zeit immer ein bisschen anders als sonst im Leben. Man zählt die Runden und weniger die Tage. Man muss sich nicht bei der Arbeit abhetzen, sondern begibt sich freiwillig in den Genuss der Zeitnot. Ein Tempo im Bauernendspiel kann darüber entscheiden, ob sich die Mühsal der letzten Stunden gelohnt hat. Weil hier im Schloss Friedberg seit gestern Nachmittag die Schachzeit gilt und diese also erheblich von der Normalzeit abweicht, hier ein kleiner Service: Wir haben Freitag, den 3. November 2023.

Heute begann unser Rahmenprogramm mit einem Simultan von FM Alex Vučković. Daher übernahm Kevin Beesk die Beobachtung der Turnierpartien und gibt hier Einblicke in ein paar ausgewählte Partien. Schon in der zweiten Runde hatte es den an Platz 4 gesetzten Paul Weichlein erwischt und er musste seinen ersten Punktverlust hinnehmen. Die Gegner werden also nun auch für die Turnierfavoriten fordernder. Daher hat Kevin heute die Bretter 1, 2 und 3 sowie die Partie von Rüdiger Schönrock gegen Quang Bach Duong von den Schachfreunden Augsburg (Brett 6) bespäht.

Kevins Beobachtungen zur 3. Runde

Theorieduell »Schüler gegen Trainer«, die Zweite. Diesmal tritt Vincent Blodig gegen Žarko Vučković an und scheint sich seiner Sache recht sicher zu sein, denn er hat zunächst mehr Bedenkzeit auf der Uhr. Bald gleicht sich dies jedoch wieder an und bei vollem Brett entspinnt sich ein zäher italienischer Manövrierkampf.

Bei IM Thomas Reich steht rasch ein klassischer Minoritätsangriff auf dem Brett. Was wird sein Gegner Asim Muharemagic dem weißen Aufmarsch am Damenflügel entgegensetzen können?

An Tisch 3 blitzt Altmeister Reinhard Blodig gegen Uli Weller die Eröffnung herunter – der geschlossene Sizilianer ist ihm augenscheinlich bestens vertraut. Nach einer halben Stunde hat Weiß hier bereits 25 Minuten mehr Bedenkzeit auf der Uhr.

Rüdiger Schönrock entscheidet sich in seiner Partie für einen isolierten Damenbauern, den Quang Bach Duong gut belagern kann. Weiß greift dafür den schwarzen Damenflügel an.

Reinhard Blodig hat inzwischen einen Zentralbauern eingebüßt, spielt aber weiterhin alles à tempo und beordert seinen Springer ins Zentrum. Will Schwarz den angegriffenen Bauern halten, werden sich weitere Räume für die agilen weißen Leichtfiguren ergeben. Man darf gespannt sein, wie Uli Weller sich entscheiden wird.

Asim Muharemagic musste einen rückständigen Bauern auf der halboffenen c-Linie in Kauf nehmen und greift nun seinerseits unerschrocken mit dem g-Bauern am Königsflügel an. Von g4 vertreibt er den weißen Sf3, doch hat der kühne Vormarsch schwache Felder hinterlassen.

Nach dem Abtausch aller Schwerfiguren verbleibt Schwarz an Brett 6 mit der kompakteren Bauernmasse und den besseren Leichtfiguren. Quang muss nun aus diesen beiden Vorteilen etwas Zählbares machen. …Und keine fünf Minuten später ist bereits eine weiße Bauernschwäche gefallen. Jetzt ist Technik gefragt.

Ein weißer Bauer ist dem schwarzen Springer zum Opfer gefallen.

Uli Weller entschließt sich, den Bauern zurückzugeben und dafür seinen Zugriff auf das Zentrum zu erhöhen. Er hat nun fast eine Stunde weniger Bedenkzeit als sein Gegner, dessen Uhr nach wie vor mehr anzeigt als zu Rundenbeginn.

An Tisch 1 sind inzwischen einige Leichtfiguren vom Brett verschwunden, und mit dem bevorstehenden Abtausch der schwarzfeldrigen Läufer wird ein reines Schwerfigurenendspiel entstehen. Bei noch voller Bauernanzahl hat Weiß einen doppelten g-Bauern, der womöglich als Rammbock gegen den schwarzen Königsflügel dienen, sich aber auch als Schwäche erweisen könnte. Die d-Linie ziert nach einem vorangegangenen Abtausch ein weiterer weißer Doppelbauer. Dafür hat Vincent mit a5 den schwarzen Damenflügel erst einmal festgelegt.

In einem taktischen Intermezzo hat Reinhard Blodig seinem Kontrahenten nun einen Bauern abgenommen. Zudem ist Uli Weller bereits bei unter 20 Minuten für noch knapp 20 Züge angekommen. Um Kompensation für den verlorenen Bauern nachzuweisen, setzt Schwarz nun auf einen Gegenangriff auf die aufgelockerte weiße Königsstellung, beginnend mit dem Bauernvorstoß nach f4.

Thomas Reich hat inzwischen einen imposanten Springer vor dem rückständigen Bauern installiert. Asim Muharemagic versucht weiterhin, am Königsflügel Fortschritte zu erzielen, doch ein Durchkommen ist nicht in Sicht und der andere weiße Springer beäugt bereits die Felderschwächen, die die schwarzen Königsflügelbauern beim Vorrücken hinterlassen haben. Das sieht gut aus für Weiß.

Die weißen Springer dominieren das Brett.

Bei Vincent Blodig steht mittlerweile ein isolierter schwarzer Bauer auf a6 unter dem Beschuss der schweren weißen Artillerie. Im Gegenzug gerät jedoch der Bauer g4 ins Visier der schwarzen Dame, und auch b2 könnte anfällig werden.

Uli Weller bringt mit einem Qualitätsopfer Würze in die Stellung. Der weiße König muss nun auf der Hut vor dem schwarzen Läuferpaar sein; obendrein hat sich ein schwarzer Bauer auf f3 eingenistet. Reinhard Blodig gilt als gewiefter Verteidiger, aber diesen Einschlag könnte er unterschätzt haben.

Nach 24.g4 brachte Uli Weller das Qualitätsopfer 24…Txf2 an.

Hier enden die Beobachtungen live aus dem Turniersaal, da der Berichterstatter zum Kartoffelschälen abkommandiert wurde…

Tatsächlich konnte Altmeister Blodig dem Angriffswirbel der schwarzen Figuren nicht mehr lange standhalten. Uli Weller konnte mit jedem Zug eine weitere Figur in den Angriff einbeziehen und nach 32 Zügen eine tödliche Abzugsbatterie gegen den weißen König in Stellung bringen, was sein Gegner sich nicht mehr zeigen lassen wollte.

Quang Bach Duong ließ sich indes zu einem verfrühten Bauernvorstoß hinreißen, was Weiß noch einmal in die Nähe des Ausgleichs brachte. Wenige Züge später revanchierte Holger Schönrock sich allerdings mit dem Bauernvorstoß nach h4, der Schwarz latente Durchbruchsmöglichkeiten am Königsflügel schuf. Als sich dann die Gelegenheit bot, schlug Quang zu und zwang seinen Gegner so zur Aufgabe.

Nie Zweifel an seinem Sieg aufkommen ließ IM Reich. Er wickelte seine Stellung zielstrebig in ein technisch gewonnenes Turmendspiel ab, nahm Schwarz systematisch jedes Gegenspiel und setzte dann seinen König in Marsch in die gegnerische Stellung. Asim Muharemagic versuchte sich durch ein doppeltes Bauernopfer freizukaufen, musste jedoch bald die Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens einsehen und seinem Gegner zu einem verdienten Sieg gratulieren.

Für Vincent ergab sich kurz vor der Zeitkontrolle die Möglichkeit, eine Zugwiederholung zu erzwingen, weshalb sein Trainer die Punkteteilung anbot. Doch der Schüler lehnte ab, um seine etwas bessere Stellung auf Sieg zu spielen. In der Folge kam er allerdings vom Weg ab und nun war es an Žarko, seinerseits eine Remisofferte auszuschlagen und seine Knetqualitäten unter Beweis zu stellen. Und das tat er: Nach sage und schreibe 143 Zügen endete eine wahre Seeschlange mit Vincents Aufgabe, doch kann er gewiss erhobenen Hauptes in die nächste Partie gehen.

Remisangebot von Žarko mit Schwarz, nach dem 39. Zug

Hier enden auch Kevins Beobachtungen. Wenn ich geahnt hätte, wie der Turniertag um 20:45 endet, dann hätte ich die Einleitung dieses Posts, die bereits zu Beginn der dritten Runde entstand, genauso geschrieben. Nein: Ich hätte sie mit einem Ausrufezeichen beendet. Die Schachzeit kann eine lange sein, aber sie ist auch oft eine schöne. Am Ende standen die verbleibenden Anwesenden um Brett 1 herum und klatschten Beifall – für unseren Nachwuchsspieler Vincent, bayrischer U14-Meister, und unseren Nachwuchstrainer Žarko.


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