Willkommen im Friedberger Zoo

Kevin Beesks Beobachtungen aus Runde 5

In der 5. Runde geht es dort weiter, wo es in der 4. Runde aufgehört hat: im Zoo. An Tisch 3 packt diesmal Martin Schönwetter gegen Christian Struck den schwarzen Löwen aus. Die g-Linie steht halboffen, der weiße Monarch hat sich vorsorglich nach h1 begeben. Wird der Löwe diesmal seine Zähne zeigen?

Auch an Brett 8 ein »Black Lion«, doch ohne weißes h3 ist der typische Vormarsch des schwarzen g-Bauern natürlich weniger effektiv. Wir werden sehen, was Marina Heil sich gegen Max Dauer einfallen lassen wird.

Eine vogelwilde Stellung erspähte der Berichterstatter an Brett 27 zwischen Myron Rabinovich und Stefan Zinner. Beide Könige stehen ohne eigenen Bauernschutz da, stattdessen ziert ein gegnerischer Freibauer die jeweilige dritte Reihe. Um den weißen König scheint es allerdings schlechter bestellt zu sein, und diese Einschätzung bewahrheitet sich dann nur wenige Züge später, als Weiß die Hand zur Aufgabe reicht.

Eine Bilderbuchstellung, doch der weiße König ist der gefährdetere.

Auf Brett 33 sticht ein »toter Läufer« im Lager von Michael Schrimpf ins Auge. Zahlreiche schwarze Bauern sind auf der Farbe ihres Läufers festgelegt, der darum auf g7 ein recht kümmerliches Dasein fristet. Gelingt es Jakub Svoboda, noch ein Springerpaar abzutauschen, winkt ihm ein Endspiel »guter Springer gegen schlechter Läufer«.

Ein bedauernswerter schwarzer Läufer auf e7

Im Spitzenduell zwischen IM Thomas Reich und dem gefühlten FM Žarko Vučković hat sich aus einem Nimzoinder inzwischen eine klassisch sizilianische Bauernstruktur ergeben. Weiß verfügt über Raumvorteil und geht mit seinen Bauern am Königsflügel vor, hat mit seinem doppelten c-Bauern jedoch auch eine ernstzunehmende strukturelle Hypothek.

Die bisherige Turnierüberraschung, der junge Cagan Arhan Hotman vom SK Ingolstadt, liefert sich mit dem nur wenig älteren, aber nominell deutlich stärkeren Quang Bach Duong ein Theorieduell in der sizilianischen Sweschnikow-Variante. Wie für diese Variante charakteristisch, entsteht eine scharfe asymmetrische Stellung, in der Schwarz zunächst am Königsflügel aktiv zu werden scheint, sich dann aber auf den Damenflügel verlegt, während Weiß nun selbst am Königsflügel vorrückt. Weißer Bauer auf f6 und schwarze Dame fernab auf a2 – das birgt reichlich Zündstoff.

Nach 32.f6 schwebt der schwarze König in großer Gefahr.

Mittlerweile ist auch an Brett 8 die g-Linie halboffen, doch Angriffschancen ergeben sich für Marina Heil daraus nicht. Die weißen Figuren stehen sehr aktiv, besonders der Springer auf f5 ist eine wahre Zierde seiner Zunft. Es sieht ganz danach aus, als könnte Max Dauer den Löwen zähmen.

Nach zahlreich geübtem Abtausch steht bei Struck – Schönwetter nun ein Endspiel Springerpaar gegen Springer und Läufer bei jeweils fünf Bauern zur Diskussion, wobei der Läufer keinen der weißen Bauern attackieren kann. Beide Seiten haben die Option, einen entfernten Freibauern zu schaffen. Eine Rolle spielen könnte auch noch der schwarze Zeitvorteil von gut 45 Minuten.

Žarko hat zwischenzeitlich unter Bauernopfer den zentralen Gegenstoß …d5 durchgesetzt. Es ist ihm gelungen, seinen Springer auf das starke Feld c5 zu überführen, doch auch der weiße Springer steht auf d4 gewiss nicht verkehrt. Ein Teil der schwarzen Kompensation dürfte in der etwas luftigen weißen Königsstellung zu suchen sein; dafür hat Weiß einstweilen einen Zentrumsbauern mehr auf dem Brett.

Michael Schrimpf hat einen Weg gefunden, seinen Läufer von den Toten auferstehen zu lassen, indem er ihm einen Pfad nach a5 bahnte. Nun könnte er diesen Läufer gegen einen der weißen Springer abtauschen, wonach die Position praktisch komplett ausgeglichen wäre. Aber ist eine Punkteteilung ein wünschenswertes Resultat gegen einen um fast 500 Wertungspunkte schwächeren Kontrahenten?

Ein wahres Drama ereignet sich an Brett 4. Cagan Arhan Holtman setzt seinem Gegner schwer zu, stellt schließlich den schwarzen König auf Matt, sodass die schwarze Dame permanent das Feld h7 im Auge behalten muss. Im Bestreben, die Dame von ihrem Posten abzulenken, entblößt er allerdings für einen Moment seine Grundreihe. Da lässt sich Quang Bach Duong natürlich nicht zweimal bitten und serviert eine eiskalte Dusche in Form eines Grundreihenmatts.

Beim nächsten Rundgang endet gerade die Partie am Spitzenbrett. Nach ein paar Abtauschoperationen wird Žarko den nunmehr isolierten weißen Bauern auf d5 absehbar zurückgewinnen, wonach sich auf diesem Niveau wohl keine realistischen Gewinnperspektiven mehr generieren lassen. Im 32. Zug ist die Punkteteilung amtlich und eine Vorentscheidung um den Turniersieg damit vertagt.

Schlussstellung an Brett 1: IM Reich – Vučković ½:½

Bald darauf geht auch die erste der beiden »Löwen-Partien« zu Ende. Max Dauer ließ sich nie die Kontrolle über die Position entreißen, hielt den schwarzen König in der Mitte fest und zwang seine Gegnerin immer wieder zu schwächenden Zügen. Über den Königsflügel setzt er schließlich zum finalen Angriff auf den schwarzen Monarchen an und kann im 34. Zug die Früchte seiner Arbeit ernten.

Die Überführung des Springers nach f5 war der Sargnagel für Schwarz.

Michael Schrimpf hat die oben aufgeworfene Frage für sich offenkundig mit »Nein« beantwortet, denn er weicht dem Figurentausch aus und versucht, Gewinnchancen zu kreieren. Tatsächlich gewinnt er mit einem kleinen taktischen Trick den weißen Bauern a2, doch der Konter folgt umgehend und bald steht für Schwarz gar ein Minusbauer zu Buche. Michael erhält im Gegenzug gewisse Hoffnungen, den weißen König mit Springer, Läufer und Turm ins Visier zu nehmen, aber Jakub Svoboda lässt den Turm nicht in seine Stellung eindringen und forciert damit eine Zugwiederholung.

Bleibt zuletzt noch der zweite Löwe an Tisch 3, der allerdings weitaus weniger zahm daherkommt als sein Pendant an Brett 8. Beide Kombattanten ziehen die angesprochene Option »entfernter Freibauer«. Der schwarze erweist sich dabei als wesentlich gefährlicher und kostet den Anziehenden alsbald eine Figur.

Beide Seiten haben einen Freibauern geschaffen, aber der schwarze ist deutlich gefährlicher.

Durch das Opfer seiner zweiten Leichtfigur für den letzten schwarzen Bauern rettet Christian Struck sich schließlich mit knapper Not in ein Endspiel König, Läufer und Springer gegen König und spielt den Ball damit zu seinem Kontrahenten zurück. Nun liegt es an Martin Schönwetter zu beweisen, dass er seinen Tarrasch gelernt hat und die Partie innerhalb von 50 Zügen zum Sieg zu führen vermag. Dies gelingt ihm jedoch nicht, sodass Weiß nach insgesamt 113 Zügen erfolgreich auf Remis reklamiert und dieser »Black Lion« in einer Seeschlange seinen Abschluss findet. Martin befindet sich mit diesem Remis allerdings in illustrer Gesellschaft, denn sogar die frühere Frauenweltmeisterin Anna Ushenina scheiterte 2013 im World Grand Prix gegen Olga Girya an dieser Aufgabe. Damit ist die 5. Runde kurz nach 20 Uhr beendet.


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