Uli Weller, nach einem glücklichen Sieg gestern Abend der Einzige mit 5/5, setzt Thomas Reich am Spitzenbrett in einer französischen Nebenvariante früh unter Druck. Es gelingt ihm, den nach d4 vorgestoßenen Bauern zu erobern. Nun bleibt es dem IM vorbehalten, ausreichende Kompensation für den verlorenen Bauern nachzuweisen.
Eine französisch anmutende Struktur – entstanden gleichwohl aus der Caro-Kann-Eröffnung – steht auch bei Maxim Jussim, gestern Abend noch mit einer tragischen Niederlage gegen den nunmehrigen Tabellenführer geschlagen, an Brett 11 zur Diskussion. Jens Wietschorke legt die Partie seinem aggressiven Stil getreu scharf an und bringt zu diesem Zweck alsbald positionsgemäß das »Harry-Theme« aufs Brett.
Ein englischer Partieanfang bei Michael Langer – Ruslan Tarasenko an Tisch 53 geht alsbald in ein Damengambit über. Ein schwarzer Turm wird in seiner Ecke vom kecken weißen Springer besucht, doch kostet diese Operation zwei Leichtfiguren. Zudem muss die weiße Majestät ein zugiges Quartier auf e2 beziehen, dem Wirbel der schwarzen Leichtfiguren fast nach Belieben ausgeliefert. Mit über einer Stunde ist der schwarze Zeitvorsprung sehr beträchtlich.
Manfred Nees hingegen lädt seinen Gegner Siegfried Mankus in klassisch holländische Gefilde ein. Ganz thematisch erreicht Weiß räumliches Übergewicht am Damenflügel, während Schwarz seine Aktivitäten auf den Königsflügel konzentriert. Wessen Strategie wird hier am Ende triumphieren?
Ein interessantes Bild bietet sich bei Simon Ulrich Maria Schaad und Alex Rempel jr. Aus einer sizilianischen Verteidigung heraus ist eine Position entstanden, in der Schwarz nach dem 15 Zügen nur zwei Figuren entwickelt hat – kein Wunder bei bereits neun erfolgten Bauernzügen. Von den übrigen sechs Zügen nahm zwei der Turm auf d7 in Anspruch, die anderen vier der vorwitzige Springer auf d3, der den weißen König nach f1 gezwungen hat. Doch auch Weiß hat schon sieben Bauernzüge auf dem Kerbholz und dazu noch einen Bauern weniger.
Sizilianisch wird auch an Tisch 4 debattiert, doch nimmt die Stellung zwischen Quang Bach Duong und Dr. Johannes Najjar rasch eher spanische Züge an. Bis zum 20. Zug ist die Bauernstruktur symmetrisch, dann attackiert Weiß mit g4 am Königsflügel. Die Figuren des Anziehenden wirken harmonischer zusammen als diejenigen seines Kontrahenten, über dessen Monarchen sich allmählich dunkle Wolken zusammenbrauen.
Spannung kommt in der Partie Mankus – Nees leider nicht mehr auf. Bevor es richtig zur Sache gehen kann, einigen sich die Kombattanten bereits nach 20 Zügen auf die Punkteteilung. Werden hier Kräfte für die Schlussrunde gespart?
Als Nächstes endet die Partie an Brett 4. Mit einer undankbaren Verteidigungsaufgabe konfrontiert, findet Johannes Najjar nicht immer die genauesten Züge, sodass der weiße Druck gegen den schwarzen Königsflügel mehr und mehr zunimmt. Eine schöne Feldräumung ebnet der weißen Dame schließlich den Weg zum schwarzen Monarchen. Das war ein überzeugend herausgespielter Sieg von Quang Bach Duong.
Nur noch fünf Züge dauert die Begegnung an Tisch 21. Simon Schaad wählt eine zweifelhafte Abtauschoperation, die Schwarz in der Entwicklung aufschließen lässt. Da überdies ein zweiter Bauer nicht mehr zu retten ist, wirft der Anziehende nach nur 21 Zügen das Handtuch und gratuliert Alex Rempel zum Sieg in dieser kuriosen Partie.
Erheblich länger wird an Brett 53 gekämpft. Simon Langer befindet sich in schwerer Zeitnot, muss einmal gar vom Schiedsrichter ermahnt werden, auch weiterhin mitzuschreiben. Sein junger ukrainischer Gegner findet allerdings keinen K.o.-Schlag gegen den vor seinen Figuren umherspazierenden weißen König und die Stellung neigt sich allmählich tatsächlich wieder dem Ausgleich entgegen. Dann unterläuft Ruslan Tarasenko trotz massig Zeit auf der Uhr ein folgenschwerer Überseher, der ihn eine Figur und damit letztlich die Partie kostet – ein weiterer Beweis für die altbekannte Schachweisheit, dass nichts schwieriger sei, als eine gewonnene Partie zu gewinnen.
Jens Wietschorke gelingt dies allerdings. Er engt Maxim Jussim systematisch ein und provoziert immer wieder Schwächen im schwarzen Lager, beispielsweise die Königsstellung auf f8. Als Jens mit dem f-Bauern zum Sturmlauf ansetzen will, verstellt Maxim mit seiner Antwort seinem Läufer das letzte Rückzugsfeld und gibt sofort auf, als dieser postwendend von einem weißen Bauern angegriffen wird.
Als letzte der beobachteten Partien läuft noch das Duell am Spitzenbrett. Für den gegebenen Bauern entwickelt Thomas Reich einige Initiative, die Uli Wellers Verteidigungskünste einer ernsten Probe unterziehen. Weiß verbraucht viel Bedenkzeit, kann die lauernden Klippen unter zeitweiliger Rückgabe des Mehrbauern aber schließlich umschiffen und die Partie am Ende sicher in den Remishafen steuern. Eine spannende Begegnung auf hohem Niveau, in der sich beide Kontrahenten durch ihr genaues Spiel gegenseitig neutralisierten.
Aktuell wird nur noch an Tisch 2 gespielt. Dort wird jeden Moment das Endspiel Turm und Springer gegen Turm entstehen, und es ist davon auszugehen, dass Žarko Vučković seinem Gegenüber Paul Weichlein hier in den nächsten 50 Zügen noch die eine oder andere Frage stellen wird.
Am Ende dauerte auch diese Partie von Žarko wieder über 120 Züge. Sie endete remis.
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